Lebens-Ansichten des Katers Murr
Aufs neue, aber sanfter als vorher, fassten mich zwei
Hände und legten mich auf ein warmes weiches Lager. Immer besser und besser wurde mir
zumute und ich begann mein inneres Wohlbehagen zu äußern, indem ich jene seltsame,
meinem Geschlecht allein eigene, Töne von mir gab, die die Menschen durch den nicht
unebenen Ausdruck, spinnen, bezeichnen. So ging ich in Riesenschritten vorwärts in der
Bildung für die Welt. Welch ein Vorzug, welch ein köstliches Geschenk des Himmels,
inneres physisches Wohlbehagen ausdrücken zu können durch Ton und Gebärde! - Erst
knurrte ich, dann kam mir jenes unnachahmliche Talent den Schweif in den zierlichsten
Kreisen zu schlängeln, dann die wunderbare Gabe durch das einzige Wörtlein
"Miau" Freude, Schmerz, Wonne und Entzücken, Angst und Verzweiflung, kurz alle
Empfindungen und Leidenschaften, in ihren mannigfaltigsten Abstufungen auszudrücken. Was
ist die Sprache des Menschen gegen dieses einfachste aller einfachen Mittel sich
verständlich zu machen! - Doch weiter in der denkwürdigen, lehrreichen Geschichte meiner
ereignisreichen Jugend!
Ich erwachte aus tiefem Schlaf, ein blendender Glanz umfloss mich, vor dem ich erschrak,
fort waren die Schleier von meinen Augen, ich sah!
Ehe ich mich an das Licht, vorzüglich aber an das buntscheckige Allerlei das sich meinen
Augen darbot, gewöhnen konnte, musste ich mehrmals hintereinander entsetzlich niesen,
bald ging es indessen mit dem Sehen ganz vortrefflich, als habe ich es schon mehrere Zeit
hintereinander getrieben.
O das Sehen! Es ist eine wunderbare herrliche Gewohnheit, eine Gewohnheit, ohne die es
sehr schwer werden würde, überhaupt in der Welt zu bestehe
E.T.A.Hoffmann
Lebens-Ansichten des Katers Murr